Rhein-Neckar-Zeitung    30.07.2005   S.5   von Micha Hörnle
Fritz Neidlinger: Ein Ehrenbürger im Jazzer-Himmel
Der Heidelberger Jazzmusiker und Erfinder des Altstadt-Boogie erhielt die höchste Auszeichnung in New Orleans – Aus Ärger über das Radiogedudel kündigte er beim HR

Seelige Jazzer: Für sie gibt es tatsächlich ein irdisches Paradies – New Orleans. Der Heidelberger Jazzmusiker und Ex-Rundfunkredakteur Fritz Neidlinger wurde nun sogar zum Ehrenbürger der US-Stadt. Die RNZ traf den 59-Jährigen, der mittlerweile in Wiesloch-Frauenweiler wohnt, und sprach mit ihm über Last und Lust des Musikerlebens, die Leiden am „Formatradio“ und den Jazz in New Orleans. Und natürlich über den ewiggrünen Altstadt-Boogie.
                                                                                     Das Porträt

Wer New Orleans sagt, der meint Dixieland. Und diese Musik hat es Fritz Neidlinger irgendwie seit mehr als 40 Jahren angetan. Dabei kann er auch anders: Neidlinger hat mit seinem Tenorsaxophon in allen Sparten der Populärmusik „gewildert“: Vom Swing über den Bebop, dann quer durch Rock und Soul, um dann doch immer wieder beim Dixieland zu landen. Auch jenseits des großen Teichs hat man davon einiges mitbekommen. Und so war es nur konsequent, dass man einem der bekanntesten Jazzer (und dazu noch einem mit Dixie-Schlagseite) auch die Ehrenbürgerwürde antrug: „Weil er seit 40 Jahren Dixieland spielt“, hieß es zur Begründung. Am 5. April bekam er in New Orleans die schmückende Urkunde. Nur zwei weitere Deutsche sind in den Genuss dieser Auszeichnung gekommen: Reimer von Essen, Chef der seit Jahrzehnten erfolgreichen Dixie-Formation „Barrelhouse Jazzband“, und Peter Petrell, der Schlagersänger, dessen Herz aber den Synkopen gehört.
Neidlinger freute sich über diese Auszeichnung allein schon deswegen, weil New Orleans sein zweites Wohn- oder Musizierzimmer geworden ist: Seit 1998 kommt er mindestens einmal im Jahr in die swingende Stadt. Dort lernte er etliche Musiker kennen und jazzte gleich mit. Gut, dass Neidlinger außerdem Tenor spielt, denn meistens gibt es Klarinettisten in Hülle und Fülle, aber eher selten Saxophonisten, die ihr „Horn“ ganz eigen zu spielen wissen: „Der Fritz spielt Dixieland bebopmäßig“, meinte einer seiner Musikerkollegen. Und so treten die „Fritz Neidlinger Jazz Cats“ regelmäßig in Amerikas schwarzem Süden auf, sie waren sogar beim letzten „French Quarter Festival“ ein offizieller Programmpunkt. Schade bloß, bedauert Neidlinger, dass der Dixieland so arg in Verruf gekommen ist: Das liegt an den Horden von „zweitklassigen Straßenmusikern“ (Neidlinger), die sich an den Ohren der Passanten vergehen.
Der Jazz war dem gebürtigen Heidelberger nicht in die Wiege gelegt, auch wenn er aus einer musikalischen Familie stammt (der Vater war Kammermusiker): Erst mit 15 Jahren machte ihn ein Freund mit den merkwürdigen Klängen vertraut – mit Folgen. 1961 hatte er ein eigenes Quartett, der 16-jährige Fritz spielte Klarinette, und mit einer Melange aus Dixie und Swing wurde er 1962, 1963 und 1964 Erster beim Jazz-Festival Ludwigshafen. Später zog es ihn, wenn auch eher aus finanziellen Gründen, in die Tanzmusik: Ab 1964 ging es in Richtung Beat und Rock mit seiner Gruppe „Adventures“, 1967 wurde er gar mit seiner „Group of Soul“ deutscher Beat-Meister. Obwohl er schon zehn Jahre de facto Berufsmusiker war – kaum angekränkelt von anderen beruflichen Erfahrungen wie einer Kaufmannslehre oder einem Abschluss als Übersetzer am Englischen Institut –, studierte er Anfang der siebziger Jahre Musik, ab 1974 wurde er Musikredakteur, erst beim Süddeutschen Rundfunk in der legendären Villa Bosch, später beim Südwestfunk, ab 1986 beim Hessischen Rundfunk:
„Ich schraubte die Musik zurück, das Dasein als Redakteur wurde mein Hauptberuf.“ Und was für einer. Denn damals trauten sich die Sender noch, wenigstens ab und an gute Musik zu spielen – lange vor der Zeit des unseligen „Formatradios“ und seiner ewiggleichen Musikmelange „der besten Hits der 70er, 80er und 90er Jahre“. Damals betreute Neidlinger in Frankfurt Reihen wie „Swing am Mittag“ oder Bill Ramseys grandiose „Swingtime“. Doch dann wurde alles anders: „Der Jazz-Anteil wurde immer weiter abgebaut“, tonnenweise gute Stücke vermodern jetzt ungenutzt in den Rundfunkarchiven. Das ärgerte Neidlinger kolossal: „Die Öffentlich-Rechtlichen sollten mehr Nischen lassen, die Archive sind voller guter Musik.“ Weil solche Ratschläge ungehört verhallten, schmiss Neidlinger vor ein paar Monaten seinen Job: „Ich stellte die Forderung nach besserer Musik, das wollte man nicht, und dann haben wir uns getrennt.“
Neidlinger sieht das Ganze durchaus nicht nur mit Groll: „Jetzt mache ich lieber mehr Musik.“ Und damit ist er im Grunde wieder dort angelangt, wo er vor 40 Jahren startete: Jetzt wird wieder quer durch alle Spielarten gemuckt, und Neidlinger wäre es ganz recht, wenn er noch mehr Auftrittsmöglichkeiten für seinen Dixie hätte: „Man kann mich buchen, von mir allein über ein Duo bis hin zum Septett kann ich alles zusammenstellen, wir richten uns ganz nach der Veranstaltung.“ Nur: Gute Musiker gibt es zuhauf, doch immer weniger Lustbarkeiten, bei denen sie aufspielen können.
Wer mag, könnte sich dann mal wieder live den Altstadt-Boogie anhören. Dieses alte Schlachtross war vor knapp 30 Jahren eine Art inoffizielle Heidelberg-Hymne. Mit seinem Freund Jürgen Hoppe bastelte er einen Text, der den morbid-lüsternen Charme der damals noch nicht ganz so propperen Altstadt im Allgemeinen und der Unteren Straße im Speziellen einfängt. Auf Wunsch singt Neidlinger auch die nicht ganz so züchtigen Strophen. Dieses Lied erklang allerdings nie, als Neidlinger in den Siebzigern und Achtzigern eine Art „Kulturbotschafter Heidelbergs“ war. Damals reiste er auf Geheiß des Verkehrsvereins um die halbe Welt, um mit Blasmusik und Studentenliedern für die Perle am Neckar zu werben. Die Brasilianer trugen Fritz und seine Jungs, die ganz im studentischen Wichs gewandet waren, auf Händen durch den Saal, als sie nach stundenlangem Hum-tata auf „The Girl from Ipanema“ umgestiegen waren.
Das ist schon ein bisschen her, dafür tragen ihn jetzt die New Orleanser auf Händen. Und richtig zufrieden wäre er, wenn auch die Kurpfälzer wieder ihre alte Liebe zu guter, heißer Musik entdecken. Vielleicht besinnt man sich ja noch. „Apropos Ehrenbürger, jetzt fehlt mir zum 60. noch die Ehrenurkunde von Heidelberg.“ Bis zum 4. August hätte OB Beate Weber noch Zeit, sich das mal durch den Kopf gehen zu lassen.